Zuversicht: Kontinuitätsgarant der Liebe
Prof. Dr. Ulrich Clement, Sexual- und Paartherapeut, Heidelberg
Das Begehren steuert die Verliebtheit! Aber was hält die Liebe und Paarbeziehungen auf
Dauer zu zusammen? Auf diese Frage hat sich Christoph Potting Antworten vom Paar- und
Sexualberater Ulrich Clement in Heidelberg erwartet. Herausgekommen ist ein vertiefendes
Gespräch über Liebesverrat, Verhandlungsmoral und die Rolle eines Beraters und Therapeuten.
Wir dokumentieren es hier in einem kompakten und zugänglichen Text.
Interview mit Prof. Dr. Ulrich Clement über Zuversicht, mit freundlicher Genehmigung von ZuversichtlichSein.
Ein Grundvertrauen zu haben und zuversichtlich zu sein – diese begleitende Färbung meiner
Handlungen ist dafür verantwortlich, dass die Dinge schon gut ausgehen und die Welt mir eigentlich
freundlich gesonnen ist. Wenn ich ein Projekt anfange, ein Curriculum auflege, ein
Buch schreibe oder eine Reise mache, dann sind ja Ausgang und Verlauf zunächst ungewiss.
Ängstlichkeit würde die möglichen „worst cases“ in den Mittelpunkt stellen. Wer jedoch den
guten Ausgang unterstellt, kann zuversichtlich sein. Dass alles gelingen wird, diese handlungsmächtige
Vorstellung ist damit allerdings nicht gemeint.
Es wird schon gutgehen – dieses Grundgefühl hat weniger mit guter Planung und Kontrolle zu
tun, sondern mit Vertrauen. Mit einem sehenden und nicht mit einem blinden Vertrauen! Einen
guten Ausgang zu unterstellen heißt jedoch nicht, die Augen zu verschließen oder das Lebensschicksal
in Gottes Hände zu legen. Denn zur Zuversicht gehört auch das Glück des Tüchtigen.
Zuversicht lässt sich nicht regressiv empfangen, sie ist vielmehr eine Begleitung meiner Handlungen.
Und diese begleitende Grundstimmung ist eine große Ressource, weil sie die Angst und
das Zaudern neutralisiert.
Gelingende Partnerschaften sind auf ein Grundvertrauen angewiesen. Ohne das Grundgefühl,
daß der andere es schon gut mit mir meinen wird, können Paarbeziehungen nicht gelingen. Aber
darüber wird nicht ausdrücklich entschieden. Partner setzen sich nicht zusammen und vesprechen
einander, jetzt zuversichtlich miteinander sein zu wollen. Zuversichtliche Paare sprechen
nicht über die Zuversicht. Gesten – ein kleines Nicken, wenn der andere spricht – aufmerksames
Zuhören: Diese mimische und gestische Begleitmusik sind die kleinen „Go“-Signale, die die
Zuversicht zum Ausdruck bringen. In Paarbeziehungen teilt sich die Zuversicht über eine summende
Zustimmung mit. Und über ein Lächeln... Aufmerksamkeit füreinander – das ist es.
Wir wissen, dass Liebesverluste Zuversichtskiller sind. Diese Verluste machen deshalb so verletzlich,
weil die Zuversicht ja ohne Beweise und ohne Indizien gegeben wurde. Intuition und
Bauchgefühl haben über die Beziehung entschieden, nicht das sorgfältige Abwägen des Für und
Wider. Darum macht Liebe so verletzbar und uns so anfällig für den Verlust von Zuversicht.
Auch aus geschäftlichen und beruflichen Zusammenhängen kennen wir Enttäuschungen. Diese
lassen sich jedoch eher kalkulieren. Gehen wir mit einer Geschäftsidee baden, dann haben wir
uns punktuell geirrt. Wenn wir lieben, dann ist jedoch die ganze Person beteiligt. Liebesverluste
stellen uns daher mit der gesamten Person in Frage. Zuversicht nach Liebesverrat – wie geht
das?
Die Unglück und Zuversicht nach dem Liebesverrat...
Aus meiner Praxis als Paartherapeut kenne ich verschiedene Varianten partnerschaftlichen Unglücks.
Das Misstrauen kommt dann auf besondere Weise ins Spiel, wenn Verratsszenarien zu
bewältigen sind, etwa weil oder einer der Partner fremdgegangen ist. „Kommen wir wieder zusammen?
Kriegen wir die Krise in den Griff? Können wir uns wieder neu finden?“ Die Gefahr
in einen Misstrauensstrudel zu geraten, ist in solchen Situationen sehr groß. Da werden vom
Partner Beweise eingefordert. Investigative Verhandlungen beginnen. „Wie meinst Du das genau?
Stimmt das überhaupt? Wo warst Du letzten Freitag um fünf Uhr – da habe ich Dich nicht
erreicht.“ Damit sich die Zuversicht wieder melden kann, muss ein solcher Prozess einige Misstrauensrunden
durchlaufen.
Das Thema Fremdgehen und Liebesverrat hat für Paare heute eine veränderte Bedeutung. Frü-
her haben sich Paare mit solchen Erfahrungen häufiger getrennt. Heute machen sie jedoch eher
die Verletzung zum Thema und überlegen, wie sie darüber hinweg kommen können. Und in
diesem Zusammenhang stellen die Beteiligten immer diese eine Frage: Jetzt hast Du mich so
betrogen und hinters Licht geführt – wie kann ich Dir ab jetzt noch vertrauen? In solchen Konstellationen
wird die Frage verhandelt, ob das Vertrauen eine Bringschuld des „Fremdgängers“
ist? Oder ob derjenige, der misstrauisch ist, sich einfach entscheiden muss: „Ok, ich vertraue
jetzt einfach mal – ohne zu wissen.“ Die Basis des Vertrauens gründet ja auf dem Nicht-Wissen.
Wenn ich etwas wirklich weiß, kann ich mir Vertrauen ja schenken.
Eine Zuversicht, die sich schon einmal in Krisen bewähren musste, hat einen besonderen Wert.
Eine Zuversicht, die noch nie auf dem Prüfstand war, ist leicht zu haben. Interessant wird die
Zuversicht, wenn die Partnerschaft schon einmal durch eine Krise gegangen ist. Nach Verrat
und Betrug eine neue Zuversicht zu entwicklen, das ist die eigentliche Liebes-Kunst. Die
„nachhaltigere“ Zuversicht ist schon einmal durchs Feuer gegangen.
Wenn Außenbeziehungen, Liebesverrat oder Liebesaffären eine Rolle spielen, dann ist es heute
seltener so, dass sich Paare sofort trennen. Sondern viele Paare, gerade im mittlerem Alter,
nehmen heute diese Krise an, um sie zum Beispiel gemeinsam mit einem Paartherapeuten
durchzuarbeiten. Weil Paare heute mit solchen Kränkungen anders als vergangene Generationen
umgehen, kommt der Zuversicht eine Schlüsselrolle zu. Das Risiko lauert! Die Zuversicht, die
im Wissen darum funktioniert, dass die Dinge auch schlecht ausgehen könnten, hat einen besonderen
Stellenwert.
Von der rauschhaften zur reifen Zuversicht
Zuversicht in Partnerschaften rekrutiert sich nur teilweise aus Erfahrungen der Vergangenheit.
Sie ist vielmehr ein Kredit für die Zukunft. Sie unterstellt, dass der Partner mit mir in Zukunft
freundlich umgehen wird. Zu Beginn einer Beziehung ist ja die Zukunft viel umfangreicher als
die beschränkte gemeinsame Vergangenheit. Dieser blinde Kredit, mit dieser Person, so wie die
ist, wird es gutgehen, bestimmt das Lebensgefühl. Hier wird die Verliebtheit als eine Form illusionärer
Verkennung des Partners besonders deutlich.
Die Verliebtheit kommt ja nicht durch eine realistische Einschätzung, sondern durch eine unrealistische
Überschätzung zustande. Ich ignoriere in dieser Zeit die Schwächen und Schattenseiten
des Gegenüber. Dieser irre Zustand der Verliebtheit euphorisiert. Ohne ihn würden wir vor lauter
realistischem Abwägen gar nicht in eine gemeinsame Zukunft gelangen können. Zu Beginn
von Partnerschaften dominiert daher eine eher rauschhafte Zuversicht: Wir sind das tollste Paar!
Nach einer längeren gemeinsamen Liebeszeit oder gar nach einer Krise macht sich eine gewisse
Abgeklärtheit und ein gewisser Realismus breit. Der andere ist nicht so, wie ich ihn mir vorstelle.
Trotzdem bleibe ich mit dem zusammen. Das würde ich als reife Zuversicht bezeichnen.
Zuversicht – nicht verhandelbar
Zuversicht als solche lässt sich nicht verhandeln. Aber Paare können über bestimmte Themen
und Interessen auf zuversichtliche Weise verhandeln: Wollen wir uns so verabreden, dass wir
uns das Geld teilen? Wollen wir uns so verabreden, dass wir beide für die Kinder zuständig
sind? Wollen wir uns sexuelle Freiheiten zugestehen? Wollen wir uns beruflich unterstützen?
Solche Verhandlungen können in einem zuversichtlichen Klima stattfinden. Aber die Zuversicht
selber halte ich für nicht verhandelbar. Verhandeln ist immer ein Tauschgeschäft. Ich gebe etwas
und ich bekomme etwas dafür. In der Liebe und mit der Zuversicht funktioniert dieser
Tauschhandel nicht. Es gibt solche Gefühle, die sich einem Tauschhandel entziehen, weil sie
unsere existentielle Befindlichkeit tangieren. Zuversicht ist eben kein primär rein kognitiver
Prozess.
Zuversicht ersetzt den rechtsförmigen Vertrag
Sozialwissenschaften sprechen heute davon, dass postmoderne Paare keine moralische Instanz
mehr über sich haben, sondern die moralische Instanz zwischen ihnen ist. Verhandlungsbeziehungen
und Verhandlungsmoral sind daher ganz besonders auf die Zuversicht angewiesen. Die
Gültigkeit einer Paarbeziehung sind heute Angelegenheit der zwei beteiligten Partner. Kirche,
Gesellschaft, Kultur und Moral spielen dabei eine untergeordnete Rolle.
„Verhandlungsbeziehungen“ brauchen die Zuversicht auf besondere Weise. Ohne Grundvertrauen
lassen sich keine Abmachungen treffen. Wenn Paare verhandeln, die Kinder gemeinsam
zu erziehen, dann kommt hier kein juristischer Vertrag zustande. Eheverträge regeln den Umgang
mit Geld und Besitz. Die Lebensplanung und den Umgang miteinander, können jedoch die
Beteiligten gar nicht vertraglich sichern. Da braucht es Zuversicht. Sie ist das, was den justiziablen
Kontrakt ersetzt. Weil Beziehungen nicht im Detail durchorganisierbar sind, braucht es
diese Ressource der Zuversicht, diese Grundgewissheit: Wir sind uns im Prinzip einig.
Paarbeziehungen, die mehr auf Gefühle gründen als auf Konventionen, brauchen mehr Zuversicht.
Gefühle sind etwas Wankelmütigeres als soziale Konventionen. Gesellschaften haben soziale
Rollen entwickelt, um die Ideellusion von Berechenbarkeit und Kontinuität in die Welt zu
setzen. Gefühle, erst recht Liebesgefühle sind jedoch etwas unendlich Launisches. Und Zuversicht
ist der emotionale Versuch, dieser Laune Kontinuität zu geben. So gesehen ist das Eheversprechen,
in guten wie in schlechten Tagen zusammen zu bleiben, eigentlich eine Zuversichtsverabredung.
Wenn aber die Bindung über Gefühle im Vordergrund steht, dann kommt auf besondere
Weise die Zuversicht ins Spiel. Die Zuversicht ist der Kontinuitätsgarant für die Liebe.
Zuversichtverantwortung
Man könnte denken, Zuversicht ist eine unabdingbare Voraussetzung für eine gut laufende
Paartherapie. Aber ich möchte das gern anders darstellen. Der Therapeut hat die Aufgabe, nicht
zu viel Zuversicht selber zu übernehmen. Er muss statdessen die Zuversichtsressourcen des Paares
aktivieren. Der Import von Zuversicht in eine Beziehung verstehe ich als einen professionellen
Fehler eines Paartherapeuten.
Ich würde dann eher von Zuversichtsverantwortung sprechen, die alleine beim Paar liegt. Nur
das Paar allein kann zuversichtlich sein, keine sonst! Daher sollte aus meiner Sicht der Therapeut
in Bezug auf Zuversicht neutral sein. Ich reize auch häufiger in Paartherapien die Möglichkeit
aus, pessimistisch zu sein. Ich sage: „Was Sie mir erzählen über ihre Pläne, das überzeugt
mich noch nicht. Machen Sie mir noch einmal plausibel, warum Sie beide ausgerechnet zusammen
bleiben wollen? Ich ermutige also nicht unbedingt, sondern ich begebe mich in eine
skeptische Position. Ich ermögliche dadurch den Partnern, mir plausibel zu machen, warum sie
zuversichtlich sein können.
Partnerschaften verfügen häufig über Zuversichtspotenziale. Es gibt zwischen ihnen eine Zuversicht,
die noch nicht entfaltet ist und zur Verfügung steht. Und diese Potentiale müssen die Beteiligten
selber freilegen. Es ist nicht die Aufgabe des Therapeuten, ein Anwalt der Zuversicht
zu sein. Die Zuversicht ist in Paarbeziehungen an den Ausgleich von „Geben und Nehmen“ gebunden.
Gute Paarbeziehungen zeichnen sich durch eine solche Balance aus. Und sobald dieses
Geben und Nehmen in eine Schieflage gerät, entsteht Misstrauen, das die Zuversicht in Frage
stellt. Paarbeziehungen, die ich als gelungen erlebe, vermitteln beiden Partnern das Gefühl, der
Andere ist ein Zugewinn in meinem Leben. Die andere Person spricht die guten Seiten in mir
an. Gute Paare bilden eine Ermöglichungsgemeinschaft. Das macht zuversichtliche Paare aus.
Im Gegensatz zu schwierigen machen zuversichtlichen Paare aus den Unterschieden
Gewinn. Sie addieren die Differenz, die sie zueinander haben und subtrahieren sie nicht.
Ulrich Clement
www.ulclement.de
|